DER SCHWIERIGE WEG DURCH DIE BILDER

Andreas Hüneke

Einfach macht es uns T.M. Rotschönberg nicht. Wie er dem Blick, der sich in dem Bild ergehen will, immer wieder Farbbarrieren in den Weg legt, die ihn aufhalten, stolpern und springen lassen, so stellt er uns mit den Bildtiteln Fallen. Sie könnten heißen: "Teilung blau/rot", "Spitz gegen rund", "Rotes Kreuz" oder "Verborgene Mitte". Aber sie lauten: "Abend am See", "Budapest: Gellert-Hotel", "Zwei rote Baumstämme" und "Straße nach Simarea". Da denkt man an den Maler, der mit seiner Staffelei hinauszieht und Stimmungen einfängt oder doch zumindest in seinem Atelier ausführt, was er vor der Natur in Skizzen festgehalten hat. Dies vorausgesetzt, sieht jeder, der sich nur halbwegs in der Kunst auskennt, sogleich, daß es sich weder um eine realistische noch um eine impressionistische Wiedergabe der Natur handelt. Vielmehr scheinen die Bilder ganz in der Tradition des Expressionismus zu stehen, ja manche erinnern mit dem Rot der Häuser und Wege und dem Grün der Vegetation so stark an Gemälde der Brücke-Künstler, insbesondere an solche Karl Schmidt-Rottluffs, daß man sie als Plagiatismus abtun möchte. Doch dieser Eindruck täuscht. Tatsächlich verehrt zwar Rotschönberg die Expressionisten und vor allem Schmidt-Rottluff, und er teilt mit ihnen nicht nur die kräftigen Farben sondern auch eine romantische Grundhaltung. Dennoch aber kommt seine Malerei aus ganz anderen Wurzeln.

Wenn hier von Romantik die Rede ist, muß zunächst mit dem gängigen Irrtum aufgeräumt werden, das habe irgendetwas mit Gefühlsduselei zu tun. Die großen Frühromantiker Caspar David Friedrich und Philipp Otto Runge waren weit davon entfernt, unkontrollierte Gefühle in ihre Kunst einfließen zu lassen. Vielmehr wurden die Mittel analysiert und ganz bewußt eingesetzt, um den beabsichtigten Ausdruck zu erzielen. Eine strenge Regularität ist nach Runge gerade bei solchen Werken vonnöten, die "so recht der Mystik unserer Seele" entspringen. Auch in den besten Bildern Schmidt-Rottluffs ist der strenge Griff nach Gestaltung zu spüren. Erst das Heer der Epigonen schuf die seichte Empfindungs-Romantik und den haltlosen Ekstase-Expressionismus.

Rotschönberg will keine Gefühle in Malerei übertragen, keine Wut sich austoben, keine Seelenzustände in Farben fließen lassen. Sein Ziel ist Gestaltung in Form und Farbe. Und so beginnt er seine Bilder meist mit abstrakten Farbelementen. Er gibt einen Grundkontrast vor, setzt Akzente, wählt ein Zentrum, baut dem Betrachter Wege durch das Bild, legt Barrieren dazwischen, damit das Interesse nicht erlahmt. Dieses Gewicht fordert jenes Gegengewicht, diese Farbe ihren Komplementärkontrast, diese Schwingung jenen Rhythmus. So entsteht aus der einfachen Setzung weniger Elemente nach und nach ein immer komplizierteres Gebilde. Paul Klee hat diesen Umgang mit den malerischen Mitteln, den Linien, Hell-Dunkel-Tönen und Farben, mit ihren Maß-, Gewichts- und Qualitätsbeziehungen 1924 in seinem Vortrag "Über die moderne Kunst" anschaulich und mit Witz beschrieben. Irgendwann, so sagt er, kann sich beim Künstler eine gegenständliche Assoziation einstellen, "und nichts hindert ihn dann mehr, sie zu akzeptieren (...). Dieses gegenständliche Jawort bringt dann etwa noch die Anregung zu dieser oder jener Zutat, die zum einmal formulierten Gegenstand in zwangsläufiger Beziehung steht, zu gegenständlichen Attributen, die, wenn der Künstler Glück hat, sich gerade an einer formal noch leicht bedürftigen Stelle anbringen lassen, als ob sie von jeher dorthin gehört hätten." Damit bekommt ein abstraktes Bild einen zusätzlichen gegenständlichen Sinn. "Denn", sagt Klee, "jedes Gebilde von höherer Gliederung ist geeignet, mit einiger Phantasie zu bekannten Gebilden der Natur in ein Vergleichsverhältnis gebracht zu werden." Solche Vergleichsverhältnisse stellt Rotschönberg her, nur sind seine gegenständlichen Assoziationen andere als die Klees. Daß sie manchmal den Bildern Schmidt-Rottluffs ähneln, mag eine Hommage an diesen Maler sein.

Die postmoderne Situation stellt den Künstler ja nicht nur in ein Verhältnis zur Naturwirklichkeit sondern auch zur Kunstwirklichkeit der Vergangenheit und Gegenwart. Die Vorstellung von einer geradlinigen Entwicklung der Kunst, die eine Grenze nach der anderen durchbricht, sich immer weiter befreit - von der Lokalfarbe, von der Raumillusion, von der Darstellung sichtbarer Realität, von der Form, schließlich von der Malerei überhaupt usw. - hat sich ad absurdum geführt, da längst die letzten Grenzen gefallen sind. Vielleicht kämpfen die "Avantgardisten" auf verlorenem Posten, weil sie geradlinig ins Leere vorgestoßen sind, während die Kunstentwicklung einen spiralförmigen Bogen beschreibt. Rotschönberg strebt nach Synthese der befreiten Mittel und der verschiedenen erprobten Gestaltungsmodelle. Nach der vollkommenen Synthese zu suchen, liegt ihm fern. Er bleibt bei den ihm zur Verfügung stehenden "emanzipierten malerischen Mitteln": "So erfahre ich im aktiven Gestalten der Bilder den Weg zur Synthese selbst als Beobachter." Erreicht hat er jedenfalls eine Synthese von abstrakter Kunst und Landschaftsmalerei.

Letztere unterliegt natürlich schon immer den kompositorischen Bildgesetzen, d.h. sie gibt niemals eine Landschaft in allen Details getreu wieder, wie eine Fotografie es tut. Der Maler trifft stets eine Auswahl, setzt Schwerpunkte und paßt das Gesehene der verborgenen Geometrie der Bildfläche an. Wem das nicht genügte, der schuf sogenannte Ideallandschaften - Phantasiegebilde, denen im 18. und 19. Jahrhundert meist italienische Landschaftsformen zugrunde lagen und die - von störenden Elementen und Konfliktstoffen gereinigt - die künstliche Harmonie eines "Arkadien" vorführen. Es entspricht dem Bewußtsein unserer Zeit, daß Rotschönberg in seinen Bildern den Konflikten nicht aus dem Weg geht, sondern sie gerade aus diesen heraus aufbaut. Obwohl sie also in ihrem Verhältnis von Bildkomposition und den aus einem allgemeinen Naturerlebnis entstammenden Bildelementen den Ideallandschaften nahestehen, ist der in ihnen erzeugte Ausdruck doch ein grundsätzlich anderer. Er ist vielmehr dem verwandt, den die Brücke-Künstler aus ihrem speziellen Naturerlebnis heraus hervorbrachten, indem sie stets von etwas tatsächlich Gesehenem ausgingen. Nun ist Rotschönberg kein Dogmatiker, und neben solchen Bildern, deren Formen sich unwillkürlich konkreten, in seinem optischen Gedächtnis gespeicherten Eindrücken annähern, gibt es gelegentlich auch solche, die Motive aus der engeren Heimat oder auf Reisen in farbigen Skizzen Festgehaltenes unmittelbar verarbeiten. Allerdings sind das die Ausnahmen, und sie sind daher nicht charakteristisch; so wie es auch bei Klee Fälle gibt, in denen offensichtlich eine gegenständliche Idee am Anfang stand. Die eigentliche Methode ist dabei bereits so verinnerlicht, daß sich die Ergebnisse auch bei anderem Herangehen in nichts Grundsätzlichem unterscheiden.

Während Rotschönbergs Motive und Farben also in gewisser Weise mit denen der Brücke-Maler korrespondieren, ist seine Methode derjenigen Paul Klees verwandt. In den Umkreis des Blauen Reiters, zu dem Klee gehörte, verweist auch der Begriff der Synthese, der von Franz Marc und Wassily Kandinsky verwendet wurde und eine zentrale Rolle in den Äußerungen Alexej von Jawlensky spielte. Er war es wohl, der den Begriff 1909 in das Gründungszirkular der Neuen Künstlervereinigung München eingebracht hatte, wo es heißt: "Wir gehen von dem Gedanken aus, daß der Künstler außer den Eindrücken, die er von der äußeren Welt, der Natur, erhält, fortwährend in seiner inneren Welt Erlebnisse sammelt, und das Suchen nach künstlerischen Formen, welche die gegenseitige Durchdringung dieser sämtlichen Erlebnisse zum Ausdruck bringen sollen - nach Formen, die von allem Nebensächlichen befreit sein müssen, um nur das Notwendige stark zum Ausdruck zu bringen - kurz, das Streben nach künstlerischer Synthese, dies scheint uns eine Lösung, die gegenwärtig wieder immer mehr Künstler geistig vereinigt." Bei dieser Synthese zwischen äußerem und innerem Erleben erschöpft sich der zweite Bestandteil nicht in momentanen Lust- oder Unlustgefühlen. Die "innere Notwendigkeit" lag für Kandinsky nicht im seelischen Zustand des Künstlers sondern wurzelt wesentlich in den Formen und Farben selbst. Und auch bei Jawlensky läßt sich nachweisen, daß Form für ihn Verkörperung von Wahrheit war. In diesem Sinne betont Rotschönberg immer wieder, daß es keine ausreichende Legitimation für eine Aufmerksamkeit beanspruchende künstlerische Äußerung ist, sein "Unbewußtes" ans Tageslicht zu fördern oder seine psychischen Probleme abzureagieren. Hier ist Dauerhafteres gefragt, Objektiveres - eine Wahrheit, die in der künstlerischen Form selbst liegt.

Obwohl also von dieser Malerei aus starke Bindungen in die Vergangenheit führen und "Synthese" für Rotschönberg auch die Einbeziehung bereits existierender Formen künstlerischer Wahrheit umfaßt, ist seine Kunst doch nicht etwa ganz und gar rückwärts gewandt, sondern sie wächst aus der Gegenwart und ist offen für die Zukunft. Nicht die Zitate verschiedener Stilelemente aus der Vergangenheit ergeben schon die Synthese, sondern erst ihr Zusammentreffen mit neuen Elementen, ihre Reaktion und Verwandlung zu einer ganz anders gearteten Einheit. Nach seinen Zielen befragt, spricht der Künstler von einer "biophilen" Malerei. Es geht also nicht darum, das natürliche und künstlich herbeigeführte Absterben der Natur, die Zerstörung unserer Umwelt durch rücksichtslose Ausbeutung der Energie- und Rohstoffreserven oder die politischen und sozialen Mißstände zu analysieren und bloßzulegen. Im vollen Bewußtsein dieser Misere, und ohne sie damit vertuschen zu wollen, setzt Rotschönberg seine lebensfreundlichen Bilder dagegen. Denn das einzige, womit der Mensch seiner Meinung nach in der Lage ist, eine Änderung herbeizuführen, sind Visionen und Utopien, da nur sie Kräfte freizusetzen vermögen, die vielleicht die selbsterrichteten Hindernisse aus dem Weg räumen können. Mit Visionen und Utopien lebt Rotschönberg auch - sein Haus und das Kraftwerksprojekt bezeugen es. Es gibt stille Künstler im Land, die mit ähnlichen Utopien leben und ihre "biophile" Kunst in zurückhaltenden Tönen wachsen lassen. Rotschönberg benutzt das volle Orchester der Farben. Die zarte Harmonie ist seine Sache nicht. Aber auch der schreienden Disharmonie steht er fern. Aus Gegensätzen und Widersprüchen formt sich doch letztlich wieder ein Wohlklang.

Thomas Müllers Anfänge - noch 1991 sind die Bilder mit "Müller" signiert, erst danach setzte sich das Pseudonym Rotschönberg durch - liegen ganz in der naturalistischen Nachahmung. Im Elternhaus gab es keine Beziehung zur Kunst, und, ohne Anleitung, wußte er nichts von anderen Zielen der Malerei. Es ist seiner systematischen Veranlagung zu verdanken, daß er aus dem Bestreben heraus, alle Erscheinungen möglichst genau wiederzugeben, zu den Problemen von Licht und Schatten, Raum und Fläche, Transparenz, Spiegelung, Strukturierung und Bildkomposition vorstieß und sich so die Grundelemente und Gesetzmäßigkeiten der Malerei erarbeitete. Die bruchstückhafte Kenntnis der Kunst des 20. Jahrhunderts, wie sie in der DDR nur möglich war, führte zur Erprobung unterschiedlicher Methoden. Die vom Kubismus angeregte kristalline Struktur des späten Expressionismus, die zunächst Festigkeit in die Bilder brachte, wurde immer kleinteiliger aufgelöst, verlor dadurch an Notwendigkeit, wurde beliebig und dekorativ. Manche der besseren Bilder erinnern - auch in der Farbigkeit - an Christian Rohlfs, der die Motive schließlich fast ganz in Strukturen auflöste. In einer abstrakten Phase machte sich Thomas Müller die Kompositionsgesetze bewußt. Sie ließ ihn aber letztlich unbefriedigt, und seitdem sucht er die Synthese der Errungenschaften der abstrakten Kunst mit wiedererkennbaren Naturformen.

1988 hatte sich seine Formensprache dem Expressionismus der Zeit um 1910 angenähert. Ein "Waldbild" läßt trotz stärkerer Farbkontraste und eines ungewöhnlichen Violetts im Boden an die Malerei Adolf Erbslöhs denken, der ebenfalls zur Neuen Künstlervereinigung München gehört hatte. Tiefblaue Schatten und die roten Stämme an den Seiten führen zur lichten Mitte mit gelbgrünem Laub und hellblauem Himmel. In anderen Bildern sind die Formen radikaler und die Farben kräftiger. 1989, in dem Jahr, in dem sich in der DDR ein tiefgreifender Wandel vollzog, in dem die Menschen ihre Angst verloren, in dem sie zum ersten Mal die Wahlen als wirkliche Willensäußerung nutzen wollten, in dem sie zu Tausenden über Polen, Ungarn und die Tschechoslowakei das Land verließen, in dem sich andere selbständig politisch organisierten und auf der Straße ihre Forderungen laut verkündeten, dem Jahr, in dem Visionen und Utopien blühten und gegen alle Vernunftgründe einen scheinbar festgefügten Staat zum Einsturz brachten, herrscht in den Bildern Thomas Müllers eine merkwürdige Unruhe, ein Suchen nach neuen Wegen. Die Farbflächen sind aufgerissen, manchmal sogar nur skizzenhaft angelegt. Dynamisch sich aufbäumende Formen bestimmen den Gestus, und selbst die ziemlich kompakte Reihung der "Roten Büsche", die den Hang hinunterzurutschen scheinen und dabei von einem gelben Baum gebremst werden, ist mit einem wild bewegten Himmel hinterlegt.

Im folgenden Jahr beruhigen sich die Formen. Die Flächen schließen sich fester zusammen. Aber bis heute werden sie nur selten so bildbeherrschend wie in dem Gemälde "Rotschönberg" von 1991. Auch die Konzentration auf wenige Farben - hier Rot, Blau und Gelb - ist selten. Meist ist die kräftige Palette voll ausgenutzt, und manchmal - etwa bei dem "Unteren Nakra-Tal" - hat man das Gefühl, daß nichts ausgelassen werden soll. Die Überfülle an Farben und Formen erzeugt eine Nervosität, die ihre Entsprechung gewiß in den zeitweise ausufernden verschiedenartigen Aktivitäten hat, die das Leben dieses Künstlers, Wissenschaftlers und Technikers prägen. Das ist der Tribut, den er der hektischen Zeit mit ihrer Bilderflut, von der er sich selbst weitgehend fern hält, zollt.

Auf der Suche nach neuen Farbharmonien, und vielleicht aus dem Gefühl, dieser Überfülle Herr werden zu müssen, fand Rotschönberg 1992/93 zu einem ungewöhnlichen technischen Experiment. Er gestaltete einige seiner Bilder nach Negativabzügen von Farbaufnahmen neu. Alles wurde dabei ins Gegenteil verkehrt, nicht nur Hell in Dunkel und Dunkel in Hell, nicht nur die einzelnen Farben in ihren Komplementärkontrast, sondern es wechselte auch ihr warmer oder kalter Charakter. Der "Rote See" und der "Grüne See" sind solch ein Bildpaar. Daß es sich nicht um eine rein mechanische Übertragung handelt, versteht sich bei der Arbeitsweise Rotschönbergs, der immer auf die von den einzelnen Bildelementen erzeugten Gegebenheiten reagiert, von selbst. Neben der radikal anderen Stimmung frappiert vor allem, wie auch die gegenständlichen Anmutungen umschlagen und sich wandeln. Der "Grüne See" ist nicht etwa die gleiche Sicht zu anderer Tageszeit (wie wir es bei Monets "Kathedrale von Rouen" kennen) sondern tatsächlich eine ganz andere Landschaft. Aber trotz der Lebendigkeit des Malprozesses, die zu vielen abweichenden Details führte, erreicht er nicht die Spontaneität des "Roten Sees". Man spürt das "Künstliche" seiner Entstehung.

Solchen Problemen geht Rotschönberg in jüngster Zeit aus dem Weg, indem er den Computer als Skizzenbuch benutzt. Damit kann er den Malprozeß wesentlich verkürzen, denn viele Vorgänge, die sonst auf der Leinwand mit Farbe absolviert werden müssen, können hier bereits im virtuellen Bereich viel müheloser vollzogen werden, so daß Grundentscheidungen schon in der Vorbereitungsphase fallen. Rotschönbergs Bilder wandeln sich oft während einer langen Entstehungszeit radikal, so daß dunkle Zonen mit hellen Farben überdeckt werden müssen, was technische, nur mit großem Zeitaufwand lösbare Schwierigkeiten erzeugt. Und wenn sich die Lösung dann wieder nicht als gültig erweist, muß die Prozedur wiederholt werden. Dieses Ausprobieren und Festlegen der Farbfelder kann am Computer problemlos erfolgen. So sammeln sich im Speicher einer Reihe möglicher Bildlösungen, von denen dann einige als Gemälde ausgeführt werden, wobei sich aus der Farbmaterialität und aus den Erfordernissen des größeren Formats noch leichte, mitunter auch tiefgreifende Veränderungen ergeben. Auch hier ist es also nicht ein sturer Übertragungsvorgang sondern ein lebendiges Werden, dem aber bereits genauere Vorstellungen vom Ergebnis zugrunde liegen.

Sieht man dem Künstler bei seiner Arbeit am Bildschirm zu, so ist die Entwicklung des Bildes aus abstrakten Kompositionselementen ganz augenscheinlich. Dabei wird auch deutlich, daß es sich in keiner Weise um "Computerkunst" handelt, die in allen ihren Varianten mit den Möglichkeiten des Rechners arbeitet, Formen nach bestimmten Vorgaben selbst zu erzeugen oder umzuwandeln. Rotschönberg benutzt das Gerät nur wie einen besonders variablen Stift oder Pinsel. Nur in manchen Fällen, etwa bei der seitenverkehrten Wiederholung eines Bildes, werden darüber hinausreichende Manipulationen vorgenommen. Die "Schneelandschaft" und "Fürstenstein" sind nach solchen Computerskizzen entstanden. Von der "Schneelandschaft" gibt es eine Computervariante mit blauer Sonne und gelben Hügeln in der Bildmitte. Von einem Berghang, mit drei Bäumen und riesigem Sonnenball im Himmelsdreieck links oben, existieren gar drei Varianten, zwei "kalte" mit Türkis, Blau, Violett und Grün sowie Orange-Gelb im Himmel oder in der Sonne als Kontrast, und eine "warme" mit beherrschendem Rot, schwarzen Bäumen, weißem Weg, gelber Sonne und kräftig blauem Himmel. Die dunklere kühle Lösung, mit schwarzen, rot umrissenen Bäumen, ist als Gemälde ausgeführt.

Sucht man nach einer Auswirkung dieser Arbeitsweise, so zeigt sie sich vielleicht in einer erneuten Beruhigung der Farbstimmungen, die auf eine erhöhte Konzentration hinweisen. Das Rational-Technische des verwendeten Werkzeugs schlägt sich in den Gemälden nicht nieder. Rotschönbergs Bilder bleiben "biophil" und - romantisch. Was Paul Klee in seinem "Wandbild aus dem Tempel der Sehnsucht dorthinĂ " ausdrückte, das Verlangen nach Entgrenzung der menschlichen Möglichkeiten, was die Romantiker durch Nebel, Licht und unendliche Weiten anschaulich machten, das erreicht Rotschönberg durch ausgeklügelte und gleichzeitig stark empfundene Bildkompositionen und Farbkontraste: Er verführt den Betrachter zum Gang ins Geheimnisvolle und Unbekannte, wo erstaunliche Visionen und wunderbare Utopien warten.

Andreas Hüneke, anläßlich der Ausstellungseröffnung Malerei T.M. Rotschönberg Nikolaikirche Freiberg 1998.
Andreas Hüneke ist seit 1995 Vizepräsident der Internationalen Kunstkritikergesellschaft - Sektion Deutschland